Legend 3 - Berstende Sterne (German Edition) by Marie Lu

Autor:Marie Lu
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Belletristik für Kinder und Jugend
ISBN: 9783732001880
Herausgeber: Loewe Verlag
veröffentlicht: 2014-07-20T22:00:00+00:00

JUNE

Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik gibt es keine Hauptstadt, in die wir zurückkehren können.

Wir setzen um Punkt 16 Uhr auf einem Landeplatz am südlichen Ende der Drake Universität auf, weniger als eine Viertelmeile von dem Gebäude entfernt, wo meine Geschichtskurse stattgefunden haben. Es ist ein irritierend sonniger Nachmittag. Ist wirklich nicht mal ein Jahr vergangen, seit das alles seinen Anfang nahm?

Während wir aus dem Flugzeug steigen und darauf warten, dass unser Gepäck entladen wird, blicke ich mich wie betäubt um. Der Campus, der Wehmut in mir aufsteigen lässt und mir gleichzeitig fremd erscheint, wirkt verlassener, als ich ihn in Erinnerung hatte – es heißt, dass viele der Studenten im Abschlussjahr frühzeitig durch die Prüfungen geschleust wurden, damit sie direkt an die Front geschickt werden konnten, wo sie nun um das Überleben der Republik kämpfen.

Stumm laufe ich ein paar Schritte hinter Anden über das Universitätsgelände, während Mariana und Serge, so wie es sich ihrer Meinung nach für Princeps-Anwärter gehört, eifrig Konversation mit dem ansonsten schweigsamen Elektor betreiben. Ollie bleibt dicht an meiner Seite, das Nackenfell gesträubt. Der große Innenhof, wo sich normalerweise die Studenten tummeln, wird nun von Flüchtlingsgrüppchen bevölkert, die aus Denver und ein paar Nachbarstädten hergebracht worden sind. Es ist ein seltsamer, beunruhigender Anblick.

Als wir schließlich die bereitstehenden Jeeps besteigen und den Batalla-Sektor durchqueren, fällt mir auf, dass sich in L. A. einiges verändert hat. An der Grenze zwischen Batalla und Blueridge, wo die Militärbauten in Wohnhochhäuser übergehen, sind viele der älteren, halb leer stehenden Gebäude offenbar hastig in Notunterkünfte verwandelt worden. In den Eingängen drängen sich Massen von zerzaust wirkenden Flüchtlingen aus Denver, die alle darauf hoffen, ein Zimmer zugeteilt zu bekommen. Ich erkenne auf den ersten Blick, dass die meisten dieser Menschen, natürlich, aus den Armensektoren von Denver stammen.

»Wo werden die Familien aus der Oberschicht untergebracht?«, frage ich Anden. »Bestimmt in einem der Edelsteinsektoren?« Mittlerweile fällt es mir schwer, eine solche Frage zu stellen, ohne dass sich eine gewisse Schärfe in meine Stimme schleicht.

Anden wirkt unglücklich, aber er beantwortet meine Frage ruhig. »Im Ruby-Sektor. Auch Sie, Mariana und Serge werden dort Quartier beziehen.« Er deutet meinen Gesichtsausdruck richtig. »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber ich kann nun mal nicht riskieren, dass auch noch die reichen Familien auf die Barrikaden gehen, weil ich sie zu den Flüchtlingszentren in den Armensektoren schicke. Dafür habe ich aber auch in Ruby ein paar Gebäude für die Armen reserviert – die Unterkünfte werden per Losverfahren zugeteilt.«

Ich erwidere nichts, einfach, weil ich dem nichts entgegenzusetzen habe. Was sollte man an dieser Situation auch ändern? Anden kann schließlich nicht innerhalb eines Jahres das komplette Gesellschaftssystem der Republik umkrempeln.

Ich blicke wieder aus dem Fenster und bemerke eine wachsende Gruppe von Demonstranten am Rand der Flüchtlingszone. Flüchtlinge in die Außenbezirke!, lese ich auf einem der Plakate. Stellt sie unter Quarantäne!

Der Anblick jagt mir einen Schauder über den Rücken. Was ich hier sehe, unterscheidet sich gar nicht so sehr von den Zuständen in den Anfangsjahren der Republik, als der Westen gegen die Flüchtlingsströme aus dem Osten protestierte.

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